Die Großen Vier: Wien als Wirtschaftsmetropole der Monarchie 1870–1914

Die Großen Vier: Wien als Wirtschaftsmetropole der Monarchie 1870–1914

Wien wurde nach der Schleifung der Stadtmauern 1858 die bedeutendste Industriestadt der Habsburger-Monarchie und erlebte im 19. Jahrhundert ein enormes Bevölkerungswachstum: Zwischen 1851 (551.000) und 1910 (2.084.000) wuchs die Stadt um mehr als 1,5 Millionen Menschen, vor allem durch die Zuwanderung aus ländlichen Gebieten in Böhmen, Mähren und Ungarn. Die Eröffnung der drei Kopfbahnhöfe 1838 in Wien und der Ausbau der Bahnstrecken ermöglichten eine steigende Zuwanderung und brachten Arbeitskräfte für die Fabriken. Die Migrant:innen waren vor allem als Dienstbot:innen, Handwerksgesellen und zunehmend als ungelernte Lohnarbeiter:innen beschäftigt.

Die wirtschaftliche und industrielle Entwicklung in Wien fand etwas verzögert statt. Wien galt vor dem 1. Weltkrieg als das größte europäische Textilzentrum. Die Textilindustrie war vor 1914 der wichtigste Industriezweig, allerdings war der Wiener Handel in der zweiten Hälfte des 19. Jh. immer noch vorwiegend kleinbetrieblich strukturiert.

Straßennamen des 7. Bezirks wie Seidengasse oder Bandgasse oder der Brillantengrund verweisen darauf, dass das Textilgewerbe ein wichtiger Teil der historischen, kulturellen und wirtschaftlichen Identität Wiens ist. Die Textilproduktion und der Textilhandel entwickelten sich im letzten Drittel des 19. Jh. besonders rasch, als Juden der ungehinderte Aufenthalt, die Religionsausübung und die Gewerbefreiheit gestattet waren, und wurden zu einer Wachstumsbranche für Unternehmer:innen, aber auch kleinere Gewerbetreibende. Eine Besonderheit der Wiener Waren- und Geschäftshäuser war daher auch die starke Fokussierung auf die Bekleidungs- und Textilbranche, die zu überwiegend von jüdischen Unternehmern wie Gerngross, Zwieback, Rothberger, Braun, Goldman, Jungmann, Wodizka, Dichter und Knize geführt wurde. Diese großen Warenhäuser fassten nur langsam und gegen den erbitterten Widerstand der mittelständischen Unternehmen Fuß.

Das Warenhaus Gerngross erweiterte sich z. B. erst 1904 nach einem Umbau zum Großwarenhaus. Neben der Sortimentsausweitung äußerte sich dies vor allem in Billigangeboten in Form von Serienverkäufen bestimmter Produkte an jeweils einem Tag. Aber auch Stefan Esders, Gründer des Warenhauses „Zur großen Fabrik“, Katholik und Antisemit, wurde öffentlich angefeindet – er beteiligte seine Angestellten am Gewinn, kaufte massenweise und weltweit ein, seine Preise waren unschlagbar.

Dies war auch die Phase, in der die Wiener Gewerbetreibenden und Kleinhändler:innen einen Abwehrkampf gegen die Großwarenhäuser begannen und eine 10 %-Warenhaus-Umsatzsteuer forderten. Die Einführung einer solchen Steuer wurde jedoch vom Finanzministerium abgelehnt und in der Folge versuchten die Wiener Kaufleute, sich genossenschaftlich zu organisieren – vor allem im Einkauf und in der Werbung – und gemeinschaftlich unter einem „Dach“ aufzutreten.